Hier schreibt der Oberbürgermeister
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
inmitten dieser besonderen Zeit möchte ich mit Ihnen gemeinsam eine Frage erörtern: In was für einer Zeit leben wir eigentlich? Um diese Frage beantworten zu können, lohnt sich ein Blick zurück. Weißenfels war über Jahrhunderte geprägt von Handwerk und Gewerbe, von den Schmieden und Gerbern, von Meistern, Gesellen und Lehrlingen. Noch heute erzählen viele Straßen und Gebäude von dieser Tradition, die Generationen prägte und bis in unsere Tage wirkt.
Doch unsere Stadt befand sich stets im Wandel. Anfang des 19. Jahrhunderts kam mit den Preußen ein tiefer Einschnitt, die Stadtmauer und ihre Tore verschwanden, die Industrialisierung ließ Weißenfels wachsen und florieren. Nach der Jahrhundertwende zog mit dem Gloria und dem Kaufhaus Joske, das heutige Müller-Kaufhaus, die Moderne ein. Weißenfels war Einkaufsstadt, ja sogar die Leipziger kamen, um hier einzukaufen und auf der Dachterrasse Kaffee zu genießen. Die nationalsozialistische Gleichschaltung 1933 bedeutete das Ende des traditionsreichen Vereins- und Innungslebens. Unsere Stadt blieb vom Krieg weitgehend verschont, doch viele Bürgerinnen und Bürger fielen den Schrecken jener Jahre zum Opfer. Mit den Amerikanern 1945 endete das Kriegsgeschehen in Weißenfels, kurz darauf kam die Sowjetische Armee für Jahrzehnte in die Stadt. Mit der politischen Wende 1989 begann eine Phase des Aufbruchs. Kommunale Selbstverwaltung, frei gewählter Stadtrat, neue Verwaltung, vieles wurde neugestaltet. Doch die Wende brachte auch schwere Brüche, Betriebe schlossen, Arbeitsplätze gingen verloren, ganze Generationen verließen Weißenfels.
Dieses Weggehen wirkt bis heute nach, nicht zuletzt in der Innenstadt, die unter Kaufkraftverlust und Strukturveränderungen leidet. Mit jener weggezogenen Generation ging ein erhebliches, wenn nicht sogar das Potenzial überhaupt, das eine Stadt braucht, um überleben zu können. Der Handel veränderte sich; die Kaufkraft verschob sich in die Ränder der Stadt, wo nach amerikanischem Modell Einkaufszentren entstanden. Es folgte die aufregende Zeit des anfänglichen Internethandels, befeuert von rasanten digitalen Entwicklungen wie Smartphones und Künstlicher Intelligenz. Mit dem digitalen Wandel schlich sich die Verführung zum Konsum und eine neue Art der Kommunikation in unsere Hosentaschen. Viele in unserer Gesellschaft landeten in der bequemen Dekadenz dieses neuen Kaufverhaltens und haben das Potenzial zu einer drohenden Vereinzelung und Vereinsamung in der Gesellschaft. Sie werden es immer schwerer haben, Probleme – auch und vor allem im zwischenmenschlichen Bereich – zu lösen. Und mir stellt sich die Frage: Wie soll eine Stadt damit umgehen? Während im Silicon Valley keine Heerscharen von Programmierern, sondern Psychologen und Soziologen die Fäden ziehen, weil sie menschliches Verhalten perfekt zu nutzen und zu manipulieren verstehen, kämpfen Städte wie unsere um eine lebendige Mitte. Ich bin überzeugt, wir müssen unsere Innenstadt ganz neu denken. Das tut weh, weil es Abschied von Vertrautem bedeutet, aber es ist nötig. Nur dürfen wir dabei nicht unsere Geschichte und unsere Traditionen vergessen. Wir leben heute unter völlig veränderten Bedingungen, und diese Entwicklung ist von Maastricht bis Görlitz zu beobachten. Wir müssen versuchen, die Chancen, die sich uns als Weißenfelser bieten, zu erkennen und geeint zu sein, um die Zeichen unserer Zeit mitzugestalten. Unsere Stadt hat so viel mitgemacht, musste sich über Jahrhunderte drehen und hat sich durch den bemerkenswerten Einsatz Einzelner in den Jahrhunderten entwickelt: Wir können aus unserer Stadtgeschichte entnehmen und lernen, dass es auf jeden Einzelnen ankommt. Mein Anteil an der Entwicklung der Stadt bezieht diesen geschichtlichen Blick mit ein. Für mich ist aus den Nachwendejahren zu lernen, dass ich zum Beispiel harte Bandagen anlege, wenn Eigentum spekulativ vernachlässigt wird. Mit mir ist nicht zu spaßen, wenn konkrete Investitionen ausbleiben, nur weil auf einen großen Gewinn irgendwann geschielt wird. Nur so konnten Gebäude in den vergangenen zwei Jahren wie etwa das Kinderland, Haus Liebe, die Ritterstuben, Fischgasse 1 und Häuser in der Promenadengasse gezielt aus spekulativer Hand an seriöse Investitionen innerhalb kürzester Zeit gebracht werden. Diese Gangart wird auch in Zukunft mein beziehungsweise unser Handeln bestimmen. Ich danke an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung sowie dem Stadtrat, die ihr Bestes gegeben haben und geben werden, um diese Ziele umzusetzen. Unsere Zeit verlangt konsequentes Handeln, Beharrlichkeit und Durchsetzungskraft. Sie verlangt Ideen, die Stadt und Ortschaften wirklich voranbringen. Ich bin dankbar für jede Initiative, für jedes Projekt, das in Weißenfels und den Ortschaften entsteht. Oft sind es einzelne Ideen, die neue Wege eröffnen: Stadtteilprojekte, Initiativen aus den Ortschaften, der Gedanke eines Stadtentwicklungsfonds. Es sind die Menschen vor Ort, die Weißenfels bewegen, die Weißenfels nach vorne bringen. Mein Fokus liegt zudem darauf, Menschen aus der Mitte der Gesellschaft für ein Leben in Weißenfels zu begeistern. Ein wesentlicher Faktor hierbei sind Arbeitsplätze. Denn ein gut bezahlter, sicherer Job kann für Familien ein entscheidender Grund sein, nach Weißenfels zu ziehen. Deshalb treiben wir beispielsweise die Vorhaben „ALFF im Schloss Neu-Augustusburg“, „Interkommunales Gewerbe- und Industriegebiet (IKIG)“ und „JVA Am Sandberg“ weiter voran. Mir ist es wichtig, dass wir unsere Ansiedlungsausrichtung in Weißenfels weitblickend aufstellen, damit eine breitere Risikostreuung der städtischen Einnahmen ermöglicht wird. Deshalb kämpfe ich an allen Fronten für Weißenfels und werbe für diese Ansiedlungen. Abschließend bleibt zu sagen, dass es wichtig ist, für die Stadt ein Morgen über Amtszeiten hinweg im Blick zu haben. Wir müssen gemeinsam das Interesse haben, Mitarbeiter an der Wahrheit zu sein oder zu werden. Wir können als Stadt nur gewinnen, wenn wir selbst an uns arbeiten. Überlassen wir nicht den Nörglern oder Hetzern die Bühne, weder im Netz noch im Alltag. Unsere Stadtgeschichte zeigt uns, dass Identitätsbrüche überwunden werden können und jede Art des Wandels mit Hilfe jedes Einzelnen von uns gelingen kann.
Herzlichst
Ihr Martin Papke
Oberbürgermeister
(geschrieben am 15. September 2025 – als Auszug der gehaltenen Stadtfestrede)