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Datum: 16.11.2023

Weißenfels gedenkt der Opfer der Pogromnacht 1938

In Weißenfels ist am 9. November 2023 an die Reichspogromnacht vor 85 Jahren erinnert worden. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung nahmen mehr als 50 Personen an einem Rundgang teil. Dabei wurden Orte abgeschritten, an denen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes lebten und arbeiteten. Die abschließende Kranzniederlegung fand in der ehemaligen Synagoge in der Nordstraße 14 statt. Organisiert wurde das Gedenken vom Simon-Rau-Zentrum mit Unterstützung der Stadt Weißenfels. Vor dem Hintergrund des aktuellen Nahostkonfliktes und judenfeindlicher Ausschreitungen in Deutschland fand die Veranstaltung unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen und starker Präsenz von Ordnungskräften statt.

„In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland und Österreich an Leib und Seele gequält, gingen Schaufenster zu Bruch. Unzählige Wohnungen, Altersheime und Friedhöfe wurden verwüstet. Es wurden Gebäude und Läden mit dem Spruch ‚Juden raus‘ beschmiert oder gar ganze Häuser angezündet. Und ja, auch hier in Weißenfels gab es solche Vorkommnisse. Wohin Intoleranz, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit führten, ist bekannt: Millionen Tote des Holocausts, Millionen Tote des Zweiten Weltkrieges, Vertreibung, zerstörte Städte, zerrissene Familien, Elend, Not, ganze Länder wirtschaftlich und kulturell zerstört, ganze Bevölkerungsgruppe vertrieben und dezimiert“, sagte Stadtratsvorsitzender Jörg Freiwald in seiner Gedenkrede und sprach damit in Bezug auf die aktuellen Geschehnisse auch eine Mahnung aus.

Die Gedenkveranstaltung startete in der Jüdenstraße 12, wo einst die jüdische Familie Reiter ein Geschäft betrieb. Auch an der Katharinenstraße 30 und der Merseburger Straße 12 – den ehemaligen Wohnhäusern der jüdischen Familien Gottschalk und Levi – machten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gedenkens Station. Der Vorsitzende des Simon-Rau-Zentrums Enrico Kabisch und Ökowegschüler Anton Konopka informierten über die damaligen Lebensverhältnisse der Familienmitglieder und berichteten über deren weiteren biografischen Verlauf. Enrico Kabisch machte zudem auf die aktuelle Lage der Nachfahren dieser jüdischen Familien aus Weißenfels aufmerksam, die heute in Israel leben. So sei Yoram Reiter als Reservist der israelischen Armee an der Nordgrenze des Landes stationiert. Ralph Lewinson, Nachfahre der Familie Levi, habe den Terrorangriff der Hamas direkt miterlebt, da er im Kibbuz Kfar Azza wohnt. Das Simon-Rau-Zentrum hat eine Spendenaktion für einen zerstörten Kindergarten des Stadtviertels gestartet (Kontakt: www.simonrauzentrum.de). An der ehemaligen Synagoge erinnerte Enrico Kabisch daran, welch ein schmuckvolles Gebäude das Gotteshaus einst war. So hätten zur Eröffnung im Jahr 1912 Wand- und Deckenmalereien die Räume geziert. Seit dem Jahr 1938 wurde die Synagoge nicht mehr genutzt. Der Weißenfelser Jude Julius Lewinsohn habe aber in seinen privaten Räumen weiterhin jüdische Riten abgehalten.